Dienstag, 10. September 2019

Zeitungsbericht

General Anzeiger Bonn von FREITAG, 6. SEPTEMBER 2019
VORGEBIRGE Seite 22
8500 Kilometer und ein platter Reifen
Georg J. aus Odendorf radelt in vier Monaten von Spanien nach Norwegen
Von KATHARINA WEBER
SWISTTAL-ODENDORF. Ganz im Süden Spaniens tummeln sich an den Stränden der Stadt Tarifa die Surfer. 5500 Kilometer Luftlinie Richtung Norden können Touristen in Norwegen an den Klippen des Nordkaps den Blick über die Weiten der Barentssee schweigen lassen. Auf den Weg von einem Ende des Kontinents zum anderen machte sich dieses Jahr der Swisttaler Georg J. – und legte dabei rund 8500 Kilometer auf dem Rad zurück.
Die Inspiration für den Trip lieferte eine schicksalhafte Begegnung mit einem dänischen Radfahrer in der Nähe von Kassel, dessen Gepäck J.s Blick eingefangen hatte. „Er hatte seinen Betrieb gerade an seinen Sohn übergeben und damit er dem nicht ständig sagt, was er richtig und falsch macht, hat er sich eine Auszeit verordnet und ist mit seinem Fahrrad nach Gibraltar geflogen“, erzählt der 57-Jährige. Das Ziel des Dänen war das Nordkap.
J.s Stelle im öffentlichen Dienst beim Bundeslandwirtschaftsministerium in Bonn ermöglicht ihm, sechs Monate Auszeit als Sabbatjahr zu nehmen. „Ich hab nicht so riesig viel vorbereitet“,gesteht er. Die grobe Route entwarf er mit einer App, zu Weihnachten gab es ein neues Trekkingrad, Kleidung für alle Jahreszeiten verteilte er auf vier Packtaschen, und Ende März ging es los.
Von Tarifa fuhr er zunächst auf der Hunderte Kilometer langen Via de la Plata zum Pilgerort Santiago de Compostela. „Von dort bin ich den Jakobsweg, den Hape Kerkeling gelaufen ist, rückwärts gefahren, bis in die Pyrenäen.“ In Frankreich führte die Route am Canal du Midi entlang, durchs Rhonetal bis zur Saône und an vielen Kanälen entlang zur Mosel. Dieser folgte er durch Luxemburg, nach Trier und bis nach Koblenz, wo er ans Ufer der Lahn wechselte. Der Fluss führte ihn zur Weser, diese nach Hamburg. In Travemünde setzte er mit der Fähre nach Trelleborg in Schweden über. Dort radelte er an der Ostseeküste bis nach Finnland, durch Norwegen und bis zum Nordkap. Bis dahin hatte er 115 Tage im Sattel gesessen.
Ein spezielles Training habe er im Vorfeld nicht absolviert, sei aber regelmäßig mit einer Rennradgruppe unterwegs gewesen. „Insofern war es ein Sprung ins kalte Wasser, um auszuprobieren, was ich schaffe.“ Wie sich herausstellte, war das einiges: Rund 80 Kilometer am Tag legte J. zurück, der große Muskelkater blieb aus. Dafür seien ihm regelmäßig die Unterarme und Hände am Lenker eingeschlafen. Und gegen wunde Stellen helfe vor allem eines: gut eincremen.
Seinem Drahtesel erging es am Anfang schlechter: Beim Transport im Flugzeug war das Vorderrad verbogen worden. Zum Glück wussten spanische Werkstätten zu helfen. Danach hielt das Glück: Nur einen Platten – wegen einer Reißzwecke in Schweden – hatte J. zu beklagen.
Auch „einen richtigen Hänger“ habe er nur einmal gehabt, ebenfalls im skandinavischen Land. „Da ist mir bewusst geworden: Jetzt fährst du nicht mehr nach Hause, sondern von Zuhause weg.“ Darüber hinaus habe er in den dünner besiedelten Gebieten die Gemütlichkeit und Kneipenkultur des Südens vermisst. „Lange gerade Strecken, viel nichts, einfach geradeaus durch den Wald“, beschreibt er die Landschaft. „Vielleicht war es die Angst vor der Angst, dass es im Norden noch dünner werden würde“, vermutet J.
Doch darüber halfen ihm Begegnungen mit anderen Reisenden hinweg, die wie er sagt sein Tourhighlight bildeten. „Man begegnet unheimlich vielen Leuten, kommt auch schneller ins Gespräch, weil man gleiche Interessen hat“, berichtet der 57-Jährige. Auf einem Campingplatz traf er einen Italiener, der ihn schließlich auf dem letzten Stück bis zum Nordkap begleitete.
In guter Erinnerung hat er ebenso die Begegnung mit zwei Iren, die mit dem Tandem durch Schweden radelten. „Einer von ihnen war blind, konnte nicht selbst fahren, aber hat sich zu seinem 60. Geburtstag die Tour gewünscht.“ Nachdem sie sich – in skandinavischer Manier – in der Sauna kennengelernt hatten, radelten sie einen Tag gemeinsam. „Dass er, obwohl er nichts sehen konnte, voller Optimismus war und auch sein sportliches Engagement waren wirklich beeindruckend.“
Auf dem Rückweg gönnte J. sich einen kleinen Trip mit der Postschifflinie Hurtigruten über die Lofoten, aber legte den Großteil der Strecke mit Auto und Zug zurück. Nach 125 Tagen kam er Ende Juli wieder in der Swisttaler Heimat an. Anfang Oktober muss er zurück in den Dienst.
Vorher steht aber noch „ein richtiger Urlaub“ in Boston und Washington, D.C, an. So ganz kann er es aber nicht lassen: Auch dort will er mit seinen Freunden aus der Rennradgruppe eine Woche in die Pedale treten.
Seine Erlebnisse hat Georg J. in einem Blog festgehalten: www.immernachnorden.de (http://www.immernachnorden.de)